Tasting Notes: Alte Burgunder

Erstellt von Prof. Dr. Andreas Otto Weber |

Wie lange kann man Pinot-Noir aus Burgund lagern?

Eine „historische“ Blindprobe: Zwölf Burgunder aus Jahrgängen von 1949 bis 1982

Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt zum Öffnen einer Flasche Weines wird in der Welt des Weines immer wieder neu diskutiert. Es gibt zahlreiche Lehrmeinungen und Faustregeln, doch was ist für großen Pinot Noir aus Burgund gültig?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, veranstaltete ein Münchner Weinkenner im kleinen Kreis der Weinbruderschaft zu München e.V.  eine Blindprobe mit zwölf Burgundern aus vier Jahrzehnten.

Es erwartete uns ein Ausnahmeereignis.

Die Weine stammten zum Teil aus nahezu unbekannten, aber auch legendären Weingütern, die Jahrgänge werden in der Fachwelt zwischen groß und schwach beurteilt. Am Anfang der Probe wußte keiner der Teilnehmer, was überhaupt ins Glas kam. Alle Weine waren kurz vor Beginn in Karaffen dekantiert worden.

Hier meine Erfahrungen bei dieser großartigen Probe:

1973 Gevrey Chambertin, Jaques Selot in Puligny-Montrachet

 Ein Wein aus einem sehr schlecht bewerteten Jahrgang mit schlechtem Wetter. Dennoch: typisch für einen gereiften Pinot aus dem Terroir von Gevrey-Chambertin aus traditionellem Ausbau: sehr helle Farbe, zart nach Erdbeeren duftend. Im Mund von betörender Eleganz und feiner Fruchtsüße. Natürlich bemerkt man das Alter, aber es gab keine Verfallserscheinungen.Ich hatte ihn für einen traditionell ausgebauten Charmes Chambertin aus einem eher schwachen Jahr wie 1992 gehalten.

Die Flasche stammte aus einer Weinkellerauflösung in München. Über den Erzeuger, den Négociant-Eleveur Jaques Selot liest man in Weinforen im Internet eigentlich nichts besonders positives. Doch dieser 1973er hat eindeutig Größe und außergewöhnliche Lagerfähigkeit gezeigt.

1976 Beaune Premier Cru, Chateau de Meursault

 Nach drei schwach bewerteten Jahrgängen kam mit 1976 wieder ein bedeutendes Jahr. Vor 19 Jahren wies Michael Broadbent in seinen Weinnotizen auf die zu starken Tannine und eine generelle Härte dieses Jahrgangs hin. Wie steht es nun heute?

In der Blindprobe kam als erster 1976er ein Premier Cru ohne Einzellagenbezeichnung von der Côte de Beaune zur Verkostung: Er wirkte in seiner Art im Vergleich zum vorherigen Wein deutlich „kühler“ und auch jünger. Die Duftaromatik von Erdbeere zeigte den Pinot Noir ganz deutlich. Im Mund war schöne Saftigkeit und große Kraft zu bemerken. Beeindruckend! Broadbent war 1994 eher skeptisch, was die Zukunft der Weine aus Beaune dieses Jahrgangs betraf. Dieser Premier Cru aus dem zum großen Handelsbetrieb Patriarche gehörenden Weingut in Meursault hat jedenfalls bewiesen, daß Pinot Noir von 1976 aus Pommard auch noch heute ein schönes, großes Weinerlebnis sein kann.

1949 Pommard, Domaine Albert Morot, Château de la Creusotte, Beaune

 Der Jahrgang 1949 ist legendär, Broadbent gibt ihm die höchste Note und beschreibt zahlreiche Weine von der Côte de Nuits. Der Guide Hachette wertet ihn mit 20/20 Punkten. Der Pommard kommt von der südlicher gelegenen Côte de Beaune, deren Weine in der Regel als nicht so lange lagerfähig gelten.

Der erste Eindruck in der Nase: Oxidation, Töne von Madeirawein, also die klassischen Zeichen von zu langer Lagerung. Dennoch wirkt der Wein im Mund immer noch groß und zeigt erstaunlich fruchtige Fülle. Dann etwas bemerkenswertes: Läßt man diesem uralten Wein Zeit zu atmen, dann öffnet er sich auch in der Duftaromatik wieder und zeigt seine Größe, obwohl es kein Premier oder Grand Cru ist. Ein Methusalem, aber immer noch ein charmanter alter Herr!

Die Domaine Albert Morot im Château de la Creusotte liegt am Rand von Beaune und hat seit einigen Jahren geradezu Kultstatus erlangt, allerdings für die aktuellen Jahrgänge.

1982 Charmes-Chambertin, Domaine Camus, Gevrey-Chambertin

Der erste Grand Cru der Blindprobe: Erster Eindruck: Sehr hell in der Farbe, feine, zarte Struktur, zarte Erdbeerfrucht in der Nase. Insgesamt ein samtiges Erlebnis eines sehr zarten, filigran-feinen Burgunders, dem Wucht und Körper Fremdwörter sind. Das ist seit langem der Stil dieses Weingutes in Gevrey-Chambertin, das sich gegen den Trend hin zu tanninreicheren und von jungem Holz geprägten Weinen gestemmt hat und dabei in der Fachwelt fast in Vergessenheit geraten ist. Alle Flaschen dieses Weinguts, die ich selbst besitze, sind übrigens mit Siegellack verschlossen. Auch dies ein Zeichen sehr traditioneller Verfahrensweisen.

Der Jahrgang 1982 ist in Burgund als guter, aber nicht herausragender Jahrgang bekannt. In diesem Fall ist das Ergebnis: eine große, feine Harmonie.

1973 (oder um 1973?) Reserve Jaques Selot, Vin de Table, Jaques Selot in Puligny-Montrachet

Ein Vin de Table ohne Jahrgangsbezeichnung von einem Händlerbetrieb aus Puligny-Montrachet. Auch dieser Wein stammte wie der Gevrey-Chambertin aus der selben Weinkellerauflösung in München. Da alle anderen Weine von Selot, die in diesem Keller lagerten, aus dem Jahrgang 1973 stammten, ist es wahrscheinlich, daß auch diese „Reserve“ aus demselben oder einem ähnlich alten Jahrgang stammt. Die Bezeichnung „Reserve“ lässt ebenso viel Interpretationsspielraum zu wie die Bezeichnung „Vin de Table“, die in den 1970er Jahren noch nicht zur Umgehung von Regeln der Weinbaubehörden genutzt wurde, um hochwertige Individualweine zu erzeugen. Ein kleines Rätsel also: Nichts ist hier sicher, weder die Herkunft aus Burgund, noch die Rebsorte, noch das Jahr.

Was zeigt der Wein? In der Nase vielfältig: Duft von Kirsche, Pflaume, Rauch, Leder und Schokolade. Im Mund ist er tief, zeigt feine Kirschfrucht und ist im Abgang sehr lang. Ein Teilnehmer hat aber auch den Eindruck von „altem Keller mit Spinnweben“.

Kann uns jemand helfen, das Rätsel dieses Weins zu entschlüsseln?

1981 Gevrey-Chambertin Premier Cru Lavaux St-Jaques, Domaine Duroché, Gevrey-Chambertin

Der Jahrgang 1981 wird für rote Burgunder als mittelmäßig beurteilt. Michael Broadbent sieht „geringen Ertrag und mittelmäßige Weine“ und rät dazu, sie zu vermeiden oder sehr genau auszuwählen. Der Guide Hachette bewertet das Jahr mit 14/20 Punkten.

Der verkostete Wein stammte aus einem Einkauf vor Ort in Burgund bei einem kleinen Weingut in Gevrey-Chambertin, das fast nur Grand Crus und Premier Crus aus diesem Ort anbietet. In der Lage Lavaux St-Jaques wurden die Rebstöcke von Duroché zwischen1923 und 1980 gepflanzt, waren also zum Teil sehr, sehr alt, aber eben auch jung.

Das Aroma ist zunächst von einem leichten Minzduft geprägt, wie oft bei sehr reifen Weinen von der Côte de Nuits. Im Mund spürt man eine kraftvolle Säure, aber auch Frucht und kräftige Tannine. Das Terroir von Gevrey-Chambertin ist deutlich erkennbar und wird von mehreren Teilnehmern erraten, für seine 32 Jahre ist er von bemerkenswerter Kraft.

1973 Auxey-Duresses, Jaques Selot in Puligny-Montrachet.

Erneut ein Wein aus dem sehr schlecht bewerteten Jahrgang 1973. Wie bereits der erste Wein der Blindprobe stammt er vom Handelshaus Jaques Selot.

Im Glas zeigt er wie der Gevrey-Chambertin 1973 eine helle Rubinfarbe, die Nase erkennt Röstaromen und Schokolade. Im Mund zeigt er sich geschmeidig und würzig und dabei durchaus auch kraftvoll. Das Schokoladenaroma ist deutlich schmeckbar. Der Abgang ist sehr lang.

Fazit: Angesichts des schwachen Jahrgangs ist der Wein wiederum ein fast unglaubliches Phänomen von Langlebigkeit, Charme und Charakter.

1978 Volnay Premier Cru Clos d’Audignac, Domaine de la Pousse d’Or in Volnay.

Ein Wein aus einem sehr guten Jahrgang (Hachette: 19/20), den Broadbent als besten zwischen 1971 und 1985 ansieht und ihm 1994, in der ersten Ausgabe seiner Weinnotizen, noch gute Möglichkeiten der Weiterentwicklung einräumte.

Die Domaine de la Pousse d’Or wurde von 1964 bis 1996 von Gérard Potel geleitet, der das Weingut zu höchstem Ruf führte.
Die nach Nord-Osten orientierte Lage Clos d’Audignac ist ein Monopolbesitz des Weingutes, umfaßt 0,80 Hektar und ist von einer Mauer umgeben. Die Rebstöcke wurden 1966 gepflanzt, waren zum Zeitpunkt der Ernte also erst 12 Jahre alt.

Die Nase zeigte schöne, präsente Cassisnoten. Im Mund herrlich saftig und von betörender Fruchtigkeit. Ein großer Genuß, dabei von gutem Trinkfluß und sehr animierend. Die Aromenstruktur war neben dem Cassiston vom für große, reife Burgunder typischen „Pfauenrad“ geprägt, also einer Aromenvielfalt, die in alle Richtungen ausstrahlt und den Mund in allen Bereichen animiert. Bis zu diesem Zeitpunkt war dies eindeutig der größte der bisher degustierten Weine.

1973 Chassagne-Montrachet, Jaques Selot in Puligny-Montrachet.

 Die vierte Flasche der Probe aus Haus Selot und dem schwach bewerteten Jahrgang 1973, diesmal aus der Gemeinde Chassagne-Montrachet im Süden der Côte de Beaune. Hier wird heute mehr Weißwein aus Chardonnay erzeugt, doch die Rotweine sind für ihre Wuchtigkeit bekannt. Der Wein stammt aus nicht bezeichneten Village-Lagen.

Die Nase wirkt rauchig, man erkennt Cassis und Walnuß. Beides ist auch im Mund wieder zu bemerken. Hier zeigt sich der Wein von erstaunlich fester Struktur. Er ist tiefgründig, mineralisch und besitzt eine kraftvolle Frucht. Insgesamt wiederum ein überzeugendes Beispiel für die Langlebigkeit eines 40 Jahre alten Weines aus „schlechtem“ Jahrgang und für die Schwierigkeit einheitlicher Bewertungen in Burgund.

1964 Chambolle-Musigny Premier Cru, Domaine Grivelet in Chambolle-Musigny.

 Nach Broadbent ein „guter, mächtiger Jahrgang, der in Gewicht und Gehalt dem 59er gleichkommt“, vom Guide Hachette mit 16/20 Punkten bewertet. Mit 49 Jahren der älteste Wein der Probe.

Die Domaine Grivelet in Chambolle-Musigny an der Côte de Nuits existiert heute nicht mehr. In Weinblogs, wie dem Burgundy Report, sind begeisterte Stimmen über alte Jahrgänge aus diesem Haus zu finden, aber auch Geschichten von Jahrgangspanscherei in den 1970er Jahren.

Was zeigte unsere Flasche zum Thema Langlebigkeit und Qualität? Sofort war erkennbar, daß der Wein aus dem charakteristischen Terroir von Chambolle-Musigny stammte: Die weiche, leicht rauchige und doch kraftvolle Art war sehr deutlich. Ich hielt ihn für einen Musigny aus dem Jahr 1961. Die Farbe des Weins war sehr hell. In Nase und Mund zeigte dieser große Wein wieder das ganze Pfauenrad der Aromenvielfalt eines großen, reifen Burgunders. Keinerlei Anzeichen von Verfall! Dafür eine feine, fast süß anmutende Frucht, ganz Pinot noir. Gleichzeitig weich und reif, wie kraftvoll und elegant. Nachdem ich wenige Wochen zuvor einen großartigen 1964er Clos de Vougeot  von der Domaine de la Tour genießen konnte, war dies wieder ein eindrucksvoller Beweis von der extremen Lagerfähigkeit großer Burgunder aus diesem Jahrgang.

1976 Richebourg Grand Cru, Domaine de la Romanée-Conti in Vosne Romanée

Einen Richebourg von der Domaine de la Romanée-Conti kann man unter die ganz großen Weine der Welt einordnen. Der Status der Domaine von Aubert de Villaine als berühmtestes und begehrtestes Weingut in Burgund ist ungebrochen. Hugh Johnson charakterisiert die Grand Cru Lage Richebourg als „fabelhaften, magischen und unglaublich teuren Burgunder“. Der Jahrgang 1976 wird von Michael Broadbent als bedeutend, aber von starken Tanninen und Härte dominiert eingestuft. Der Guide Hachette bewertet ihn mit 18/20 Punkten. Wenn man also weiß, was für ein Wein hier ins Glas kommt, wären die Erwartungen hoch, doch hier war all dies unbekannt. Wie wirkte der Wein also ohne Vorwissen?

In der Nase war ein zarter Mentholduft bemerkbar. Im Mund zeigte sich eine saftige und bemerkenswert frische Frucht, dazu Aromen von Schokolade. Das ganze Geschmacksbild wirkte geschliffen wie ein Brilliant, dabei aber doch von explosiver Intensität. Keinesfalls hart oder von Tanninen betont, sondern vollständig ausbalanciert, mit feiner Leichtigkeit und filigran. Tatsächlich ein ganz großes Weinerlebnis. Soweit meine spontanen Degustationsnotizen.

Auch Michael Broadbent hat diesen Wein mehrfach verkostet. 1992 notierte er: „Vollreif, eher bleich; süß, duftendes Bukett; weich am Mittelgaumen, sehr tanninbetonter Abgang“. So schmeckte der Richebourg einem großen Weinkenner also vor 20 Jahren. Noch heute hat der Wein seine Größe vollständig bewahrt. Die starken Tannine sind in den zwei weiteren Jahrzehnten seiner Existenz aber einer großen Finesse gewichen. An diesem Wein zeigt sich also sehr deutlich: Bei den ganz großen Lagen ist die Geduld des Weinsammlers eine wichtige Tugend.

1982 Echezaux Grand Cru, Domaine René Engel in Vosne Romanée

Rene Engel gilt als erstrangiger Erzeuger von Weinen aus den besten Lagen des noblen Weindorfes Vosne-Romanée an der Côte de Nuits. Die am Hang oberhalb des Clos de Vougeot gelegene Grand-Cru-Lage Echezaux ist für ihre zarten und feinen Weine bekannt. Das Jahr 1982 ist eher für große Bordeaux als für große Burgunder bekannt, Michael Broadbent sieht in diesem Jahr „weder ganz gute noch ganz schlechte Weine“, doch war er 1992 davon überzeugt, daß man diese Weine bald trinken sollte. Nun 20 Jahre später sollte dieser Wein zeigen, ob diese Einschätzung zutreffend war.

Im Glas zeigte der Echezaux ein helles Rot. die Nase duftete verführerisch zart nach hellen Früchten. Im Mund zeigte sich eine große, komplexe Struktur. Der Wein wirkte elegant und gleichzeitig sehr kraftvoll, so daß ihm immer noch Potential für die Zukunft zugebilligt werden kann. Die Aromen präsentierten sich feurig und aufregend, mit typischer Pinot-Art. Neben dem 1976er Richebourg war dies der für mich beste Wein der Blindprobe.

Fazit: Wein ist Geschmackssache.

Jeder Weinfreund reagiert anders auf jungen oder alten Wein. Im Kreis der Weinbruderschaft zu München herrschte aber bei der Frage nach der Lagerfähigkeit der vorgestellten Burgunderweine große Einigkeit, daß fast alle dieser alten Weine immer noch ein großer Genuß waren, wenn es nicht sogar lohnend war, sie wirklich sehr lange reifen zu lassen. Voraussetzung dafür ist aber natürlich ein entsprechender Weinkeller. Alle Weine dieser Weinprobe hatte diesen Vorzug.

Unter guten Bedingungen kann Pinot Noir aus dem Burgund also jahrzehntelang reifen und unbeschadet älter werden. Dazu muß er nicht aus Grand-Cru-Lagen stammen, auch Weine aus Village-Lagen zeigten in dieser Probe Größe.

Die berühmten Erzeuger wie Engel, Pousse-d’Or oder Romanée-Conti zeigten ihre zu erwartende Position, aber auch bei Betrieben, denen man dieses Potential gar nicht zugetraut hätte, gab es große Überraschungen. Suchen nach interessanten Winzern und Geduld zahlt sich im Burgund eben aus! Ob diese lange Lagerfähigkeit auch für die Weine des neuen Jahrtausend gilt, wird sich erst zeigen.

von Andreas Otto Weber

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